Heimat bedeutet für Pater Benedikt Staubli unter anderem Originalität ...
... aber auch die Freiheit zur Mitbestimmung und Mitgestaltung. Nach seinem Studium in Rom lebte Pater Benedikt von 1985 bis 1998 im Südtiroler Kloster Muri-Gries. Anschliessend betreute er während rund 13 Jahren die Gemeinde Boswil als Pfarrer bevor er vor fünf Jahren als Dekan ins Bozener Kloster zurückkehrte.
«È ritornato? Benvenuto!»
Um seinen Heimatbegriff einzugrenzen, erzählte Pater Benedikt folgende Geschichte: Während seines Studiums in Rom habe er die Gewohnheit gehabt, auf dem Weg zur Universität morgens jeweils dieselbe Bar aufzusuchen, um einen Cappuccino zu trinken und ein schmackhaftes Cornetto zu essen. Dabei sei es jeweils nur zu kurzen Wortwechseln gekommen, da er nur wenige Minuten Zeit hatte. Nachdem er sein Studium beendet hatte, kehrte er nach einigen Jahren wieder nach Rom zurück und führte eine Gruppe durch die Stadt, mit welcher er derselben Bar einen Besuch abstattete. Als er die Bar betreten habe, habe ihn der Barista hinter der Theke etwas länger angeschaut als sonst, um dann zu sagen: «Ah, è lei! È ritornato? Benvenuto!» - «Ah, Sie sind es! Sind Sie zurückgekehrt? Willkommen!» Da habe er gewusst, Rom sei ihm ein Stück weit zur Heimat geworden.
Heimatlos habe er sich trotz der verschiedenen Stationen in seinem Leben nie gefühlt. Allerdings sei für ihn interessant gewesen, dass er sich bei seinem ersten Aufenthalt im Südtirol heimischer gefühlt habe als heute. Warum, das könne er nicht mit Bestimmtheit sagen, vermute aber, er sei als junger Mensch vielleicht offener gewesen. Heute sei er distanzierter, sagt er und fasst zusammen «Was ich vermisse, ist das, was einem Schweizer besonders am Herzen liegt. Die direktdemokratische Organisation des Gemeinwesens sowohl in der Politik als auch in der Kirche.» Im Südtirol habe er das Gefühl, man erwarte Lösungen stets von oben. Politische Eigenverantwortlichkeit scheine ihm dort eher ein Fremdkörper zu sein. Dabei bedeute für ihn Heimat eben auch mitbestimmen und mitgestalten zu können.
Pater Benedikt
Anpassung bedeutet auch Verlust
«Wer man ist, das hat immer auch damit zu tun, woher man kommt», vermutet Pater Benedikt. Landschaft und Tradition eines Herkunftsortes seien immer auch Teil der eigenen Persönlichkeit. Man werde gewissermassen durch die Landschaft und ihre BewohnerInnen geprägt und geformt. So mache auch der Boden, auf dem man aufgewachsen sei, Heimat aus. Je fruchtbarer dieser sei, umso mehr fühle man sich mit ihm verbunden. Heimat könne man daher auch mit Erdhaftigkeit oder Bodenhaftung umschreiben.
Eine grosse «Gemeinde Freiamt» kann sich Pater Benedikt nicht so recht vorstellen. Was geschichtlich gewachsen und somit Heimat sei, solle man nicht leichtfertig durch Anpassung wegen beispielsweise einseitig pekuniärer Vorteile aufs Spiel setzen. Anpassung bedeute immer auch einen Verlust an Originalität, was wiederum eine typische Eigenschaft von Heimat sei. Pater Benedikt ist überzeugt, auch wenn es eine «Gemeinde Freiamt» gäbe, blieben die Menschen letztlich doch Murianer, Bosmeler, Merischwander, Unter- oder Oberdörfler und das sei gut so.
Das tiefe Heimatempfinden der FreiämterInnen ist für ihn einfach zu erklären. Das Freiamt habe landschaftlich, kulturell und gewerblich viel zu bieten. Es sei eine attraktive Wohnregion nahe städtischer Zentren aber ohne Agglomeration zu sein. Das verleihe dem Freiamt seinen eigenen Charakter und eine gewisse Eigenständigkeit, die heimatlich anmute. Dies seien Vorzüge, die zum Bleiben oder zur Rückkehr einladen. Auch Pater Benedikt Staubli kehrt immer wieder ins Freiamt zurück. Das nächste Mal am 2. Juli zum Jubiläumsgottesdienst anlässlich des 100jährigen Bestehens des Kirchenchors Boswil.
Susanne King
21. Juni 2017
Bild: zVg