Aus dem Nebel des Vergessens
Man kennt die Tradition, in jedem Konzertprogramm mindestens ein Werk einer Komponistin zu präsentieren. Auf der Suche nach Repertoire abseits des Mainstreams stosse ich auf die britische Komponistin Lilian Mary Elkington (1900 bis 1969) – und auf ein Orchesterwerk, das mich beim ersten Hören emotional überwältigt: das sinfonische Poem «Out oft he Mist» aus dem Jahre 1921.
Fasziniert von dieser hypnotischen Musik lande ich bei der unglaublichen Geschichte von Elkingtons historischer Wiedergeburt, die einem beinahe surrealen Zufall zu verdanken ist. In den späten 1970er Jahren entdeckt der britische Musikwissenschafter David Brown in einem Antiquariat in Worthington, Susse, ein vergilbtes Paket von Manuskripten mit insgesamt vier Partituren, darunter ein kurzes Orchesterwerk, zwei Stücke für Violine und Klavier und ein Lied. Die Jahres- und Opuszahlen auf den Handschriften lassen erahnen, dass dieses Konvolut ein nur kleiner Teil eines grösseren kompositorischen Oeuvres ist. Der Name der Komponistin ist Lilia Elkington: musikgeschichtliches Phantom und biografische Leerstelle zugleich. In den einschlägigen Lexika existiert sie nicht. Die spektakuläre Entdeckung von David Brown markiert den Beginn einer abenteuerlichen biografischen Schnitzeljagd.
Leben und Werk von Elkington erhalte erste Konturen durch einen Brief ihrer Tochter, die den Werdegang ihrer Mutter schildert: die künstlerisch erfüllten frühen Jahre als erfolgreiche Pianistin und aktive Komponistin bis hin zur dramatischen Zäsur, die mit der Heirat, dem Rückzug ins Häusliche und der Aufgabe jeglichen Komponierens beginnt. Nach Elkingtons Tod im Jahre 1969 verheiratet sich ihr Ehemann ein zweites Mal. Nach dessen Tod entsorgt seine Witwe einen Grossteil seines Nachlasses, in dem sich sehr wahrscheinlich das gesamte kompositorische Werk von Lilian Elkington befand. So sind die vier Werke aus dem Zufallsfund von David Brown alles, was uns von Lilian Elkingtons Musik erhalten geblieben ist.
Durch den direkten Kontakt mit David Brown gelange ich an das Aufführungsmaterial von Elkingtons einzigem erhaltenen Orchesterwerk. Die sinfonische Dichtung «Out oft he Mist» entsteht 1921 als ein grossbesetztes Stück Programmmusik, das die Ankunft des britischen Kriegsschiffes HMS Verdun beschreibt, das 1920 die an der Front gefallenen Soldaten in der symbolischen des «Unknown Warrior» zurück nach Hause bringt. Die Musik beschreibt in einem epischen Crescendo das langsam Auftauchen des Schiffes aus dem Nebel über dem Kanal bis hin zur majestätischen Einfahrt in den Hafen von Dover.
Lilian Elkingtos «Out oft he Mist» wird in der Sommertournee 024 des Jugend-Sinfonieorchester Aargau (JSAG) als Schweizer Erstaufführung zu hören sein. Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz herzlich bei David Brown für die wunderbare Zuammenarbeit und die eigens für die Schweizer Erstaufführung verfassten Programmnotizen.
Text: Hugo Bollschweiler
19. Juli 2024
Bilder: Redaktion
Die Schweizer Erstaufführung von «Out oft he Mist» findet im Rahmen der JSAG-Tournee «Home» am Sonntag, 11. August um 11 Uhr in der Alten Kirche Künstlerhaus Boswil statt. Weitere Informationen unter www.kuenstlerhausboswil.ch