Es ist ein immer wiederkehrendes Wechselspiel zwischen Macht und Wohlbefinden und dazwischen liegt als tägliche Begegnung ein Stein.
Aufgeschichtete Steine sind Marchpunkte für Besitztum, Imponiergehabe, Ausdruck von Macht. Sie können aber auch Schutz vor Kälte sein. Sie sind Bewegung und Verbindung mit der Natur – eine Wiederspiegelung des einzelnen Menschen oder einer Bevölkerungsgruppe hinter einer Mauer oder die Offenheit im Umgang mit Mensch und Natur. Die Ureinwohnerinnen unserer Erde wohnten in Steinhöhlen, die Pharaoninnen und König*innen liessen sich steinige Pyramiden und Paläste bauen, die kirchliche Obrigkeit imposante Dome und Kirchen und die Eidgenossenschaft stürmte einst die Burgen mit kriegerischen Wurfgeschossen aus Steinen.
Mit Steinen wurden Wege und Strassen gebaut und natürlich die schönen Dorfbrunnen. In den 1968er Jahren wollte man mit Steinen die Welt verändern und 1989 wurde die Mauer zwischen der DDR und der BRD abgerissen. Und meistens blieb nicht mehr als eine Geröllhalde zurück und die Rolle der Steine und Mauern wurde von einer gekonnten politischen Rhetorik übernommen. Die Steine sind in vielen Bereichen der Gestaltung des alltäglichen Lebens unerlässlich, aber es werden immer noch als Abwehrmassnahme Mauern gebaut und Menschen nach richterlichem Urteil gesteinigt.
Steiniger Boden mit Rückhalt
Seit der Mensch denken kann, lebt er auf einem steinigen Boden und innerhalb von steinigen Wänden, geniesst aber die vom Stein ausstrahlende Wärme und erspürt seine Formen. Es ist ein gutes Gefühl, wenn man sich an einer steinigen Wand anlehnen kann oder bei einem Wutanfall ein Stein in der Hand wieder Ruhe gibt. Die Indianer legen bei der Schicksalsbefragung und Charakterbestimmung das Medizin- und Erdrad mit Steinen und in Erinnerung an uns liebgewordene Menschen setzen wir einen Stein auf ihre Ruhestätte. Mit grossen und kleinen Steinen kann man Musik entstehen lassen und so die Schwingungen des Innenlebens der Steine erspüren oder einfach mit Steinen lebendige Spiele entstehen lassen.
Es braucht die Steine, damit die Menschen sich einrichten und fortbewegen können. So ist es unerlässlich sie zu bearbeiten, zu Strassen und Gehwegen zu formen, Flussbette, Staudämme und Häuser zu bauen. Die Steine sind also kein notwendiges Übel, wenn man sie nicht zu einem missliebigen Material verkommen lässt.
So ist der vielzitierte «steinige Boden», der so vieles unmöglich zu machen scheint, nur so steinig, weil meistens das Brett vor dem Kopf die Sicht auf die Steine versperrt und man dauernd mit den Füssen anschlägt. Ein nur geglätteter Weg birgt aber die Gefahr in sich, ins Schleudern zu geraten.
Richard Wurz
11. Dezember 2021
Bild: Richard Wurz – Zeichnung von Christina Blatter Bremgarten