Die Politiker*innen nehmen ihre Verantwortung wahr, fahren bald durch's Land und zeigen sich von ihrer besten Seite – der Nationalfeiertag ruft.
Es soll Gemeinden geben, da findet keine 1. August-Feier statt mangels Organisator*innen, dafür in vielen Gemeinden mit einem dem Nationalfeiertag gebührenden Fest. Das sind auch die begehrten Destinationen für die Politiker*innen und sie werden pflichtbewusst zu ihrer Tour d'Horizon aufbrechen. So können sie im Namen der Nation die Bevölkerung aufrufen – ganz in ihrem eigenen Sinn – sich für das Land einzusetzen und dies gleich in drei bis fünf Gemeinden. Da ja an allen Ecken Probleme zu lösen wären und vielfach keine Lösung sichtbar ist, werden sie sicher auf das staatstragende Motto «Einer für alle. Alle für einen» zurückgreifen.
Vielleicht werden sie sogar das geschichtliche Bewusstsein versuchen zu wecken und erinnern an «Winkelried, dem Helden aus Nidwalden». Der soll sich ja 1386 in der Schlacht bei Sempach in die gegnerischen Spiesse geworfen haben mit den Worten: «Ich will Euch eine Gasse schlagen. Sorget für mein Weib und Kinder.»
Das war sicher von Winkelried eine selbstaufopfernde Tat, aber in der heutigen Zeit kaum mehr denkbar, denn die Komplexität des heutigen sozialen-politischen-gesellschaftlichen Lebens ist so durcheinander geraten, dass es zur Lösung mehr braucht als «eine Gasse schlagen». Aus politischer Vernunft wird man sicher den Leitspruch «Einer für alle. Alle für einen» geflissentlich weglassen, denn das wäre ja ein Bekenntnis zur Umsetzung einer Gleichstellung und Gleichberechtigung für alle – und das wäre ja ein bisschen viel an einem Schweizer-Festtag.
Richard Wurz
29. Juli 2022
Bild: Redaktion