Auswandern im Alter? Haben Sie sich darüber schon einmal Gedanken gemacht?
Auf seine alten Tage hin noch einmal alle Zelte abbrechen, und in ein fremdes Land auswandern, wo man weder Leute und Sitten kennt, und manchmal gar auch zusätzlich noch nicht einmal die Sprache beherrscht. Meine verehrte Leserschaft, das ist nicht eine Wunschvorstellung meinerseits, sondern eher ein Alptraum, aber für viele Menschen wird diese Auswanderung im Alter je länger je mehr zum einzigen gangbaren Weg, um auf einem gewissen Lebensstandard alt werden zu können. Sie mögen sich jetzt gerade verwundert die Augen reiben, aber es ist tatsächlich wahr.
Zurzeit verbringe ich gemeinsam mit meiner Familie den Herbsturlaub am Balaton, in Ungarn und Ungarn, vor allem auch diese Gegend, ist geradezu ein überaus beliebtes Auswanderungsland, für RentnerInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die UngarInnen haben inzwischen hier ganze Altersresidenzen gebaut, in denen man als RentnerIn zu zahlbaren Preisen wie in einem Altersheim versorgt wird. Und keine Angst, die Pflegekräfte können durchaus ein passables Deutsch und man ist sehr darum bemüht, den EinwanderInnen das Leben hier möglichst angenehm zu gestalten, denn schliesslich bringen sie dringend benötigte Arbeitsstellen. Aber nicht nur in den Altersresidenzen wird Deutsch gesprochen, auch auf dem Land werden viele ungarische Häuser inzwischen an KäuferInnen aus dem deutschsprachigen Raum verkauft. Das sei immer noch besser, als dass dieser Wohnraum von ZigeunerInnen genutzt würde, die überhaupt kein Geld, aber viele Kinder hätten, gab uns unser deutsche Nachbar zu verstehen. Er respektive seine Familie hat in dem Ort in Ungarn inzwischen drei Häuser gekauft. Sie sind die Altersvorsorge für die ganze Familie, wie mir die Enkelin, die etwas jünger ist als ich, in einem Gespräch erklärt. Für sie ist schon heute klar, dass sie ihren Lebensabend in Ungarn verbringen wird.
Ursprünglich stammt ihre Familie aus Sachsen. Nach der Wende sind sie nach Bayern gezogen. In einer Gegend um München herum, die heute kaum mehr zu bezahlen ist, wie sie uns glaubhaft erklärt. Ganz pragmatisch hält sie auch fest, dass sie sich die aktuelle Wohngegend in Deutschland mit einer Rente nicht mehr wird leisten können. Daher hat sie schon einmal eben hier in Ungarn vorgesorgt und baut sich ein Häuschen um. Auf die Frage, ob sie denn Ungarisch könne, meint sie lachend, nein, diese Sprache sei nicht zu lernen, aber die UngarInnen hätten sich in den letzten Jahren schön angepasst und viele würden ganz passabel Deutsch oder Englisch sprechen. Sie erzählt uns auch, dass es hier in der Gegend immer mehr Deutsche, Österreicher und Schweizer geben würde, die hier das Alter verbrächten und dementsprechend seien auch die Immobilienpreise in den letzten Jahren angestiegen.
Nun denn, für mich wäre das definitiv nichts. Aber vielleicht wäre jetzt der richtige Moment, um sich zu überlegen, ob denn, wenn ich ins Pensionsalter komme, ich mir das Leben in der Schweiz noch werde leisten können. Vielleicht muss man dann nicht mehr nur nach Ungarn, sondern nach Afrika auswandern, um sich seinen Lebensstandard erhalten zu können. Irgendwie stimmt mich das nachdenklich, vielleicht würde eine Auswanderung so von langer Hand geplant, wie das diese junge deutsche Frau tut, leichter fallen, weil man sich dann in diesem Land schon ein zweites Standbein aufgebaut hat und weiss, auf was man sich einlässt. Doch ganz überzeugt bin ich nicht. Es sollte doch möglich sein, dass man auch im Alter in der Nähe seiner vertrauten Umgebung und liebgewonnenen Menschen bleiben kann?
Da wäre wohl die Politik in unserem Wohnland gefragt, der es wichtig sein müsste, dass es allen ihren EinwohnerInnen möglich ist, ein passables Leben zu führen ‒ da beginnen dann die grossen Diskussionen, was den passabel ist und man die demografische Entwicklung nicht ausser Acht lassen dürfe.
Bettina Leemann
5. Oktober 2019
Bild: ETH-Bibliothek Zürich