Die Schönheiten des Tessins kennt man, einen Teil seiner reichen Sprachenvielfalt kann man am 19. Mundarttag auf Schloss Heidegg kennen lernen.
Auch im Tessin besitzen die Dialekte in den einzelnen Dörfern eine eigene reiche Musikalität, nur sind sie einem nicht bekannt. Bis auf die Gemeinde Bosco Gurin, in der ein Walser Dialekt – eigentlich ein Schweizerdeutsch – überlebt hat, werden die Lokaldialekte von den Bewohner*innen wie eine Intimsprache gepflegt und als gemeinverständliche Variante kommt der Koiné zum Zug und natürlich das uns bekannte Italienisch zum Tragen. Es sei interessant und charakteristisch wie die Physionomie der individuellen Dialekte zwischen Airolo und Chiasso tiefe lexikalische und phonetische Unterschiede aufweisen, erklärte Guido Pedrojetta, Professor für Linguistik Uni Fribourg, im Gespräch.
«Das führte zur Entstehung einer mundartlichen Koiné, einer Bahnsprache für die ganze Gotthardstrecke.» So sei «Käse» in Airolo «c'asö, in Lateinisch «Caseum» und in Chiasso «furmagg». Guido Pedrojetta weist darauf hin, dass die Tessiner Dialekte durch das Vorhandensein und dem Einfluss phonetischer Merkmale dem Französischen eigen seien und zur Gruppe der gallo-italienischen Idiome gehören. So werde aus «die Mauer» im Italienisch «il muro», in Airolo «u mü», im Süden «al mür» und in der französischen Schweiz «le mur».
Es sei wie in der ganzen Schweiz auch im Tessin, dass der Dialekt in den einzelnen Dörfern und Regionen ein wertvoller Anteil am Alltagsleben habe, hielt Guido Pedrojetta fest. So werde im Familienkreis besonders der Dialekt geredet, erklärt Guido Pedrojetta weiter. Leider überlebe die Mundsprache aber nur im Sozial-, Transport-, Bank- und Postbereich, währenddessen diese im Kindergarten und den ersten Schuljahren, in der Kirche, an öffentlichen Konferenzen und in der Politik- und im juristischen Bereich ausgeschlossen sei. Er machte darauf aufmerksam, dass die Unterschiede der einzelnen Dialekte sich aber schon auf einer Zugreise zwischen Göschenen und Ambri oder Erstfeld und Biasca bemerkbar machen würden.
«Verba volant, scripta manent»
Die Autorin Franca Da Rin ist in Airolo aufgewachsen, hat aber eine sehr enge Beziehung zum Kanton Aargau, denn in Staffelbach lebte einst ihr Grossvater Rudolf. «Meine Muttersprache ist Italienisch und den Airoler Dialekt habe ich in mir drinnen, aber ich liebe die Deutsche Sprache», meinte Franca Da Rin im Gespräch. Sie habe sich aber zeitlebens für den örtlichen Dialekt interessiert, denn dieser sei letztlich im Alltag ihre Muttersprache, in der sie sich bemerkbar und verständigen konnte und immer noch kann. Sie liebe ihre Mundsprache, betonte Franca Da Rin, denn diese sei die Herzenssprache ihres Vaters, zu dem sie eine sehr enge Beziehung pflegen durfte und der sie im Zugang zum Dialekt förderte.
«Dieser Reichtum der Sprache erlaubt mir immer die Anwesenheit seiner Seele zu fühlen.» Er habe sie aber auch immer wieder mit den Worten «Verba volant, scripta manent – das gesprochene Wort verfliegt, das Geschriebene bleibt» dazu aufgefordert zu schreiben. Es habe gedauert, bis sie dazu den Mut fand, meinte Franca Da Rina. Aber Professor Guido Pedrojetta habe seinen Teil dazu beigetragen, so dass das erste Buch «Paisséi a s'tì» vor zwei Jahren erscheinen konnte.
Richard Wurz
17. Juli 2021
Bilder zVg
Der 19. Mundarttag im Rahmen des 22. Seetaler Poesiesommers findet am Sonntag, 25. Juli von 14 bis 17 Uhr auf Schloss Heidegg statt.
Die Teilnehmer*innen: Pirmin Meier, Schriftsteller und Historiker, Aesch, Themen: Namen erzählen Geschichten; Franca Da Rin, Dialektautorin, Airolo; Corinne Verdan-Moser, Übersetzerin, Chardonne (VD); Barbara Traber, Autorin, Mundartband «D Zyt aahalte»; Guido Pedrojetta, Sprachwissenschafter Uni Fribourg, kommentiert Franca Da Rins; Alexander Grass, ehem. Journalist Radio SRF, «Durchschlag am Gotthard»; Urs Gilgien, Vertreter der Kulturgutstiftung Fruttigtal um das Werk der Fruttigtaler Mundartautorin Maria Lauber.
Weitere Informationen unter www.heidegg.ch