Der Aargau ist seit 300 Jahren ein Industriekanton und hat bis zum heutigen Zeitpunkt einen grossen Einfluss auf das gesellschaftliche und kulturelle Leben im Kanton.
Jedes Schloss, jedes römische Fundament und jede Burgruine werden erhalten und gepflegt und wo möglich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht ‒ das kann man nur begrüssen, denn diese erinnern an die Geschichte als es den Kanton Aargau noch nicht gegeben hat. Dabei sollte aber die Geschichte der Industrie nicht vergessen gehen, denn die Grundsteine zum Industriekanton Aargau wurden schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts gelegt, also fast 100 Jahre vor der Gründung des Kantons Aargau im Jahre 1803. Das bernische Manufakturmandat von 1719 löste einen historischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozess aus. So haben in den vergangenen 300 Jahren unzählige AargauerInnen die Aargauer Industriegeschichte geschrieben und so die Schweiz mitgeprägt.
Heim- und Fabrikindustrie
In der Entwicklung des Industriekantons Aargau nimmt im 18. und 19. Jahrhundert die Heimarbeit einen grossen Platz ein. Diese Hausindustrie hatte den grossen Vorteil, dass sie nicht an einen besonderen Standort gebunden war. Der Aufschwung der Fabrikindustrie begann schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Arbeiten der Heimindustrie immer stärker durch Maschinen bewältigt werden konnten. Zu den Anfängen der aargauischen Industrie gehören sicher die Bereiche Seiden-, Baumwoll- und Strohindustrie. Die Baumwollspinnerei und –weberei konnte sich schon um 1720 behaupten, verdrängte dabei aber die Leinenindustrie. Die erste mechanische Baumwollspinnerei erstellte 1810 Herzog von Effingen in Aarau, es folgten unter anderem die Familie Hünerwadel mit Fabriken in Niederlenz und Lenzburg. Im 18. Jahrhundert entwickelten sich auch die Strohflechterei und die Hutnäherei zu Industrien. Zu Beginn stand das Freiamt im Mittelpunkt der Strohindustrie. Um 1815 entdeckte man die Strohweberei und 1830 erlebte die Bordürenweberei einen markanten Höhepunkt. Einen Markstein in der Seidenindustrie legte Johann Rudolf Meyer Sohn als er im Jahre 1810 damit begann, seinen Betrieb zu mechanisieren. Dabei unterhöhlte er halb Aarau, um die Manufakturen mit Wasserkraft zu versorgen. Die Meyerschen Stollen unter der Stadt Aarau sind heute noch Zeugen dieser Aktivität und eine gern besuchte Attraktion.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Rauchtabak- und Zigarrenfabrikation und mit Bally kam ein Schuhfabrikant hinzu. Dieser baute zwischen 1909 und 1911 auch im Freiamt, sprich im Ballygebiet der Gemeinde Villmergen, zwischen Dintikon und Dottikon eine grosse Fabrik. Zu Spitzenzeiten wurden an diesem Standort 4'000 Schuhpaare pro Tag produziert. Im Sog dieser Industrialisierung entstanden weitere Maschinenfabriken, die Glocken- und Kanonengiesserei Aarau, Papierfabriken, Druckereien und Chemiefabriken. Ein bedeutender Schritt war im 19. Jahrhundert als unter anderen Charles Brown und Walter Boveri die BBC (heute ABB) gründeten.
Industriekultur heisst auch Identität
Der Aargau wäre heute nicht einer der wichtigsten Industriestandorte der Schweiz, wenn nicht schon vor 300 Jahren Menschen mit Erfindergeist den Boden dafür gelegt hätten. Es war die Basis für die Entwicklung für morgen. So haben Generationen für einen in die Zukunft weisenden Werkplatz Schweiz gekämpft und ihn wertvoll gemacht. Das ist eine Hinterlassenschaft, die es zu beachten und mit zu nehmen gilt, damit die Weichen für die Zukunft gestellt werden können.
Das Netzwerk Industriewelt Aargau hat das Projekt «Zeitsprung Industrie» erarbeitet und will damit der Bevölkerung eine kantonsweite Plattform bieten und so das industrielle Kulturerbe mit den heutigen Erfindungen und den Entwicklungen im Aargau verknüpfen. So kann man das Gestern entdecken und das Morgen verstehen.
Richard Wurz
27. August 2019
Bild: zVg
Alle Informationen zu «Zeitsprung Industrie» findet findet man unter www.industrieweltaargau.ch