Die Zeit vorher, während und nachher
Das Thema Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett steht sei ewigen Zeiten in der Diskussion und es gibt auch die verschiedensten Ansichten, Einstellungen und Wissen, welches denn nun der richtige Weg sei. Angefügt sei aber, dass es bis in die 1990er Jahre für viele Frauen die Geburt im Spital die einzige Chance war für einen kurzen Moment gepflegt zu werden und Ruhe vom Familienbetrieb zu haben und Hausbesuche waren in den städtischen Agglomerationen noch kein Thema. Vor rund dreissig Jahren habe die Zeit begonnen, dass sich die Frauen untereinander über die Schwangerschaft unterhielten, erklärte Cristina Marinello. Vor allem seien sie aber nicht mehr bereit gewesen einfach alles nach Verordnung mit sich machen zu lassen, sie wollten in den Prozess involviert sein. Dies sei aber bei den Ärzten nicht gut angekommen, denn diese wollten verordnen, hielt sie fest.
Eine ganzheitliche Verantwortung
Obwohl es Hausgeburten schon seit ewigen Zeiten gebe, freiwillig und zwangsweise, sei dies in ihrem Elternhaus kein Thema gewesen, erinnerte sich Cristina Marinello. Im Gespräch seien die Geburten in den Spitäler gewesen und für die Nachbetreuung habe man dann Hebammen gefunden. Sie selber habe sich früh entschieden, den Beruf Hebamme zu erlernen und habe zuerst eine Ausbildung als Krankenschwester gemacht und dann anschliessend die Hebammenausbildung. «Diese hat aber nur eineinhalb Jahre gedauert. Da wir das als nicht ausreichend empfanden, wehrten wir Hebammen uns.» Ein Chefarzt hielt dieser Forderung damals entgegen, dass dies genüge, denn eine Hebamme brauche nicht mehr zu lernen als das ausführen zu können, was die Ärzte verlangen. Das konnte natürlich nicht genügen, denn wer draussen als Hebamme arbeite, übernehme die ganze Verantwortung und müsse auch entsprechend ausgebildet sein. «Ich bin für zwei Menschen verantwortlich und bin die medizinische Absicherung zu Hause», betonte Cristina Marinello. Sie arbeite auch alleine vor Ort und wolle keinen Arzt mit dabeihaben, denn sie kenne die Frau, das enge Umfeld der Familie und ihre Arbeit als Hebamme beginne schon im vierten Monat der Schwangerschaft und ende erst sechs bis acht Wochen nach der Geburt. Sie wolle in dieser Zeit eine Begleitung sein und mit der Familie im Gespräch klären, wie es weiter gehen oder was geändert werden soll. Ja, sie mische sich in die Familie ein, hielt Cristina Marinello fest, aber dies sei von den Familienmitgliedern auch gewünscht. Natürlich sei sie sehr streng und suche klare Strukturen, aber wenn die Eltern miteinander reden und planen, dann würden sie auch Verantwortung übernehmen zum Wohl der ganzen Familie.
Cristina Marinello
Es ist ein Ja zum Leben
Die Geburt sei ein gutes Erlebnis und bereite Freude, meinte Cristina Marinello, aber ihre Arbeit sei nicht auf die Geburt konzentriert. Ein wichtiges Anliegen sei ihr der Schutz der Frau. Bis in die 1990er Jahre sei es die Regel gewesen, dass die Frau nach der Geburt das Schlafzimmer während drei Wochen nicht verlassen durfte. Das Ziel sei die Gesundheit von Mutter und Kind, aber auch das sechswöchige Wochenbett für die Frau. Cristina Marinello hielt aber diesbezüglich unmissverständlich fest: «Heute werden die Frauen zu wenig geschützt, auch vor sich selber.» Die Frau müsse bei der Geburt etwas loslassen, sich total öffnen und das Kind hinauslassen. Es gebe aber der Frau das Wissen und Erleben so etwas durchstehen zu können. Wichtig sei, dass eine Frau gebären könne und dies mit ihrer Kraft tue und nicht entbunden werde. Und als Hebamme gebäre sie nicht, sondern begleite die Frauen beim Gebären. Dies gemeinsam mit dem Mann erleben zu können sei letztlich auch eine Basis für das Familienleben. «Ich bin eigentlich eine Familienbetreuungsfrau für die ganze Zeit von der Schwangerschaft, über die Geburt bis rund zehn Wochen nach der Geburt.»
Angesprochen darauf, ob sie denn nie eine Geburt verpasst habe, meinte Cristina Marinello mit einem Lächeln: «Nein, weil ich mit den Kindern rede und es funktioniert, wenn ich auch nicht weiss warum.» Natürlich komme eine gewisse Belastungsunruhe auf, wenn mehrere Geburten anstehen, erklärte sie. Aber sie plane nicht, sondern rede mit den noch ungeborenen Kindern und erkläre ihnen, dass sie Hebamme sei und zwischendurch auch eine gewisse Erholungszeit brauche. Das heisst, sie mache mit den Kindern Sachen ab, bevor sie auf der Welt sind. Sie stehe aber dazu, dass bei Ablösungen durch andere Hebammen sie eigentlich beleidigt sei, dass die Kinder sie nicht gefragt hätten, ob sie mit dem Wechsel einverstanden sei. Zum Abschluss dieses interessanten Gesprächs hielt Cristina Marinello aber klar fest: «Ich kann die Welt nicht retten, aber der Familie während einer kurzen Zeit Unterstützung geben.»
Richard Wurz
27. November 2023
Bilder: Patrick Honegger
Illustration: Karin Köpfli-Fehlmann
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